Anna Harton (geboren im Jahre1931)


 

„In der Zeit der Vertreibung waren wir mit meiner Zwillingsschwester 16 Jahre alt.

In Bácsalmás besuchten wir die Klosterschule.

Zweimal war schon auf einer Liste ausgeschrieben, wer ausgesiedelt wird. Unser Name stand nicht darauf. Am 20. August 1947 stellten wir fest, dass unser Name auf der dritten Liste steht: mein Vater Mátyás Harton, meine Mutter Anna Koch, meine Großeltern János Harton und Mariann, die Schwester meines Vaters Tante Mári Stábl und ihre Tochter Maria und die Tochter von ihr Margit Daninger. Wir mussten unsere Sachen einpacken, was wir mitnehmen wollten.Es wurde uns erlaubt , ein Gepäck bis zu 50 Kilo  mitzunehmen. Es war nicht festgelegt, was wir mitnehmen durften.

Hier im Dorf Bácsbokod hatte mein Vater einen kleinen Laden. Wir hatten kein großes Vermögen, drei Kühe, zwei Pferde, ein Fohlen, Geflügel und den Laden.

Zum dritten Mal wurden die Wohlhabenden ausgesiedelt. Wir dachten alle, dass wir nicht so lange von zu Hause weg sein werden. So ließ mein Vater die wertvollen Sachen bei einem Bekannten zum Aufbewahren.  So tat er auch mit dem Fohlen.

Wir Mädchen begriffen davon nichts, wir wussten gar nicht, was eigentlich geschah. Es war für uns ein Erlebnis. Noch an diesem Tag wurden wir zum Bahnhof gebracht und wir packten unsere Sachen in den Waggon ein. Wie ich mich erinnere, waren wir ca. 30 Personen insgesamt im Waggon. Daraus durften wir nicht weggehen. Drei Tage lang hielt sich der Zug am Bahnhof auf. Hier mussten wir warten. Die Polizisten kamen, mein Vater musste aussteigen. Sie ließen ihn solange nicht wieder zurück, bis er gestand, wo unser Fohlen war. Er verriet es ihnen natürlich. Am 23. August 1947 fuhr der Zug mit uns in das Unbekannte ab. Wir weinten und sangen die ungarische Hymne. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie lange wir unterwegs waren. Als der Zug anhielt und wir aussteigen durften, hatten wir die Möglichkeit uns zu waschen und auf die Toilette zu gehen. Meine Mutter trocknete Brot, wir hatten Speck dabei, so waren wir nicht hungrig.

Es ist einmal geschehen, dass der Zug plötzlich anhielt, aber man durfte nicht aussteigen. Aber eine Frau stieg mit der kranken Tochter –die kaum laufen konnte- trotzdem raus. Inzwischen war der Zug abgefahren, die Frau rannte mit der Tochter nach, aber sie konnten ihn nicht erreichen. Alle ihre Sachen blieben im Zug. Ich weiß nicht, was ihnen später passierte und wie sie in der Tschechoslowakei vorwärts kamen. Es war furchtbar, dass wir ihnen nicht helfen konnten.

Eine andere Frau brachte ihr Kind im Waggon auf die Welt. Es gab welche, die unterwegs aus dem Zug in einem Tunnel sprang und es hatte ihr leider das Leben gekostet. Wir waren unterwegs in die Tschechoslowakei, in Bad Schandau mussten wir aus dem Zug aussteigen. Wir waren zwei Wochen lang in einem Lager. Fingerabdrücke wurden von uns genommen und die Menschen wurden auf die Arbeit in Gruppen eingeteilt. In einem großen Raum wurden wir alle untergebracht. In hohen Hochbetten aus Holz schliefen wir. Immer wurde Suppe gekocht, meistens Gurkensuppe.

Später mussten wir weiterfahren, so packten wir unsere Sachen wieder in den Zug. Das Ziel war Schönfeld. Auch andere von Wikitsch waren  dort: die Fangs und die Bergstocks. Wir haben uns jederzeit geholfen. Zwei Wochen lang schliefen wir in einem Wirtshaus auf dem Boden, bis der Bürgermeister für uns einen Platz fand. Dort bekamen wir eine Küche, ein Zimmer bei einer Bauerfamilie. Wir mussten keine Miete bezahlen, als Gegenleistung halfen wir ihnen in der Landwirtschaft. Wir arbeiteten in einem Sägewerk.

 Später nach der Arbeit hat mein Vater Besen gebunden. Wir, die Mädchen haben sie auf die Schulter genommen und in der Stadt Olbernhau verkauft. Für 10 Mark oder 1 Kg Weizen, Roggen wurde ein Stück verkauft.

Deutsch haben wir schlecht gesprochen, aber man verstand uns ganz gut. So haben wir versucht vorwärts zu kommen und ein besseres Leben zu schaffen.

So verliefen 7 Jahre in Schönfeld Sachsen. Mein Vater ist mit 41 Jahren gestorben, dort wurde er mit seinen Eltern beerdigt. Meine Mutter arbeitete in dem Sägewerk, wir fanden mit meiner Schwester Kati in der Stadt Freiberg eine Arbeit.

Dort lernte ich meinen Mann kennen, im Jahre 1950 heirateten wir. Er war Friesur.

1955 gingen wir nach Karlsfeld /nach Westen/ zu Besuch und wir blieben dort bei der Familie Tettinger. Sie waren meine Taufeltern. Sie waren auch in der Landwirtschaft tätig. Sie hatten noch ein kleines Haus, wir zogen dort ein. Sie siedelten sich noch im Jahre 1944 nach Deutschland aus, weil Adam ein SS Soldat war. Anfangs halfen wir ihnen, aber später hat mein Mann eine Arbeit bekommen. Ich bekam auch eine Arbeit in einem Luftballondrucker. Danach arbeitete ich in einer Pharmaindrustrie / Asis /.

Unsere Mutter heiratete einen Witwer aus dem Dorf, so konnte sie auch nach Westen ziehen. Meine Zwillingsschwester kam auch nach Westen noch vor dem Bau der Berliner Mauer. Wir holten sie ab und nahmen sie zu uns nach Hause mit. Später zogen wir mit meinem Mann nach Offenstädten neben Regensburg weg. Meine Schwester heiratete zweimal und hat zwei Töchter. Sie lebt zur Zeit in Karlsfeld bei einer von den Töchtern. Sie ist schwerkrank. Unsere Mutter wurde auch dort beerdigt.

Wir adoptierten unsere Tochter. Wir leben jetzt zusammen mit ihrer Familie. Mein Mann ist auch krank.

 Ich hatte immer Sehnsucht nach Ungarn gehabt. Ich träumte öfters davon, dass ich mit einem Zug nach Bokod fahre.

Zum ersten Mal kam ich 1964 nach Hause. Ich konnte kaum erwarten, dass ich in Bokod ankomme. Jedes Jahr besuche ich hier meine Verwandten. Solange ich noch die Kraft habe, komme ich.

Der Gott hat uns bei allen Schwierigkeiten immer geholfen, so hoffe ich, dass er mich noch mehrmals nach Bokod führen wird.”  / Anhang-16./