Erinnerung einer Frau, die vor der Umsiedlung in Nadwar lebte


Erzsébet Melcher (geboren im Jahre 1933):

“Ich begönne die Geschichte unserer Familie bei der Volkszählung im Jahre 1941. Ich erinnere mich, dass mein Lehrer János Epres zu uns kam. ‚Franz Vetter! Überlegen Sie gut, was Sie mir diktieren! ‚ - sagte er zu meinem Großvater. ‚Wie könnte ich behaupten, dass ich ein Ungarer bin, wenn ich gar kein Ungarisch spreche? Schauen Sie, das kann ich nicht sagen.’

Viele deutsche Familien in Nadwar machten es klüger: sie warfen ihren deutschen Namen einfach weg, und magyarisierten. Aus Koch wurde Kőszegi, aus Etsberger Erdősi oder Endrődi, aus Grau Gerényi, aus Melcher Mezőfi oder Mindszenti, aus Metzinger Mezővári. Es gab auch einige, die sich Ungarn nannten, obwohl sie kein Wort Ungarisch sprachen. Auch János Epres rettete viele: wenn die Familien auf ihrer deutschen Herkunft nicht bestanden, trug er sie automatisch als Ungarn ein.

Im Herbst 1945 wurde unsere Familie aus dem Haus auf die Straße geworfen. Wir konnten nur einige unserer Sachen mitnehmen, die wir während einer Stunde zusammenpacken konnten. Alles andere wurde uns weggenommen. Wir waren vier Kinder in der Familie, deshalb konnten wir eine Kuh bei uns behalten. ‚Wir dürfen nur eins tun: still sein.’ - sagte mein Großvater immer.

So zogen wir in ein anderes Haus ein, unsere Familie bekam hier ein Zimmer. In diesem Haus mussten sich mehrere Familien ein Unterschlupf finden. Wir dachten, dass wir zu unseren Verwandten ziehen dürfen, aber ihnen blieb auch kein Haus, sie waren auch Obdachlose, ihre Lage war ähnlich wie unsere.

Da besaßen wir noch unsere Felder, unseren Weingarten und unseren Keller. Aber nicht mehr lange! Eines Tages kam der neue Besitzer unseres ehemaligen Hauses mit den Exekutivgewalt. Sie forderten den Schlüssel vom Keller. Mein Großvater widersetzte sich ihrem Willen, aber es blieb nichts anderes übrig, er sollte den Schlüssel hingeben. Im Winter 1946 wurden mein Vater und mein Großvater als Kriegsschuldigen zur Wiedergutmachungsarbeit als Gefangene verschleppt. Sie wohnten in einer Baracke in der Nähe von Kalocsa, sie fällten  den ganzen Tag Bäume. Später bekamen wir eine Botschaft von ihnen: wenn wir die Wächter mit einem Fass Wein bestechen, können wir sie besuchen. Wir verbrachten dort mit anderen Frauen einen ganzen Tag. Die Männer waren sehr mager, in einem stinkenden Raum etwa 50 Gefangene. Nach einem halben Jahr wurden sie entlassen, trotzdem schrieen die Wächter immer diese Sätze: ’Ihr stinkende Hitleristen! Hier werdet ihr alle verwesen!’

Am 18. April wurden wir aufgefordert, aus dem Haus auszuziehen. Am Anfang 1947 konnte man schon hören, dass Ungarn aus der Slowakei kommen und Häuser brauchen. Zum Ausziehen bekamen wir eine halbe Stunde, es passierte früh am Morgen. Mein Großvater wollte auch Werkzeuge einpacken. Da fragte der Mitglied der Exekutivgewalt: ‚Was wollen Sie denn damit?’ ‚Arbeiten. Wenn wir essen wollen, dann müssen wir arbeiten. Man muss überall arbeiten.’ ‚Hitler gibt Ihnen bald zu Essen!’ - kam die Antwort. Ich überlegte schnell, was wir noch brauchen. Als ich mich bückte, um die Pantoffeln meines Großvaters aufzuheben, gab mir der eine von ihnen Tritt. ‚Hitler gibt euch bald auch Pantoffeln!’

Wir fuhren mit 5-6 Lastwagen nach Wikitsch. Wir wussten so, dass wir später nach Deutschland ‚zu unserem Hitler’ weiterfahren sollen. Wir ließen unsere Häuser, unsere Freunde, das Grab meiner Mutter in Nadwar. Sie ist im Jahre 1942 gestorben. ‚Gott sei Dank, dass sie es nicht erlebt hatte.’ - sagte meine Großmutter.

Wir kamen noch am Vormittag in Wikitsch an. Wir wohnten alle 18 bei den Schäffers in der Dózsa Straße. Sie bedauerten uns. Viele zogen mit Pferdewagen oder zu Fuß nach Nadwar zurück. Wir blieben hier, weil wir wegen der Umsiedlung und Aussiedlung keine Verwandten mehr in Nadwar hatten. Wir alle arbeiteten, meine Tante verstand die Erntearbeit gut.

Im August 1947 wurden die Schäffers auch nach Deutschland ausgesiedelt, im Dorf kamen die ersten Ungarn aus der Slowakei an, unter anderen die Familien Kövér, Bencsik, Szűcs, Molnár, Tóth. Sie kamen nicht mit leeren Bündeln, sondern mit langen Zügen, die mit Tieren, Werkzeugen voll waren. Es gab einige, die auch die Dachziegel mitbrachten. Wir sollten also das Haus wieder verlassen. Ein paar Tage konnten wir auf dem Hof der Nachbarfamilie, bei den Kremms verbringen. Bald erwarb mein Großvater ein leeres Gehöft, hier wohnten wir bis zu der Verstaatlichung im Jahre 1949. Ich habe die 8. Klasse nicht beendet. Ungarisch sprach ich nicht so gut. Wir mussten arbeiten, um zu leben. Mein Vater heiratete die Witwe seines Bruders und sie zogen nach Érsekcsanád. Meine Familie beschäftigte sich mit Weinbau in Nadwar. Dazu verstand jeder am besten. In Wikitsch gab es keine Möglichkeit zum Weinbau, deshalb zogen wir nach Érsekcsanád. Ich lebte mit meinen Großeltern auf dem Gehöft.

 Im Jahre 1950 lernte ich in einem Faschingsball meinen Mann kennen. Am 29. April heirateten wir. Danach zogen wir in das Dorf zu den Fodors für Hausmiete ein. Mein Mann wurde für 3 Jahre in das Militär einberufen. Als er abgerüstet wurde, zogen meine Großeltern auch nach Érsekcsanád um. Inzwischen erhielten wir einen Brief von den damaligen Besitzern aus Nadwar. Wenn wir wollen, können wir unser Haus von ihnen zurückkaufen. Aus meiner Familie wollte keiner zurückziehen. Wir konnten ein eigenes Haus im Jahre 1956 hier am Rande des Dorfes kaufen. Danach ist meine zweite Tochter geboren. Wir arbeiteten viel im staatlichen Gut und in der LPG. Von meiner Familie bin ich die Einzige, die hier in Wikitsch blieb. Die Dorfbewohner, akzeptieren mich, ich habe mich schon an das Dorfleben in Wikitsch gewöhnt.

Ich hatte immer Sehnsucht nach Nadwar, aber ich wusste, dass ich dort nichts und niemanden so finden würde, wie in meiner Kindheit. Unser altes Haus sah ich nach 50 Jahren wieder. Ich erkannte es kaum. Es wurde umgebaut. Aber auf dem Tor unseres Kellers steht das Monogramm meines Großvaters heute noch.

Die Umsiedlung ist nicht wieder gut und unvergesslich zu machen. Diese Jahre waren furchtbar und angstvoll. Mit meinen Töchtern sprach ich nie Deutsch, ich wollte ihnen nicht schaden. Sie lernten die deutsche Sprache in der Schule.

Wir haben viel gelitten aber wir sind immer noch am Leben, wir haben es geschafft! / Anhang-14. /